Projektzeitraum |
2002 – 2004
Projektmitarbeiter |
Gabi Schacht, Juristin (bis Februar 2004)
Marlies Feldner
Andrea Schneider
Finanzierung |
Niedersächsisches Ministerium für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit
Projektbeschreibung |
Am 1. Januar 2002 ist in Deutschland ein Gesetz zum Schutz von Opfern häuslicher Gewalt in Kraft getreten: das Gewaltschutzgesetz (GewSchG). Geschädigte haben dadurch die Möglichkeit, einen Antrag auf Überlassung der gemeinsam genutzten Wohnung (? 2) oder auf Betretungsverbot, Annäherungsverbot und Kontaktverbot gegenüber dem Täter/der Täterin – wie (? 1) – zu stellen. Die Polizei ergänzt das neue zivilrechtliche Instrumentarium durch eine häufigere Wegweisung des Täters/der Täterin aus der Wohnung. Idealerweise sollen während dieses in den einzelnen Bundesländern zwischen 7 und 14 Tagen andauernden Platzverweises die zivilrechtlichen Schutzanordnungen in Kraft treten.
Mit dem niedersächsischen Aktionsplan zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen wurden begleitende Maßnahmen zum Gewaltschutzgesetz auf Landesebene in Angriff genommen. Ein zentraler Bestandteil des niedersächsischen Aktionsplans war dabei Anfang des Jahres 2002 die Einrichtung der Beratungs- und Interventionsstellen (BISS) für Opfer häuslicher Gewalt in sechs ländlichen Regionen Niedersachsens. Im Unterschied zu herkömmlichen Beratungsstellen verfolgen die BISS einen pro-aktiven Ansatz: Sie erhalten von der Polizei Mitteilung über deren Einsätze bei häuslicher Gewalt, nehmen dann Kontakt mit den Geschädigten auf und bieten ihre Hilfe an. Es wird vermutet, dass dadurch Frauen erreicht werden können, die aus eigenem Antrieb – zumindest zum gegenwärtigen Zeitpunkt – keine Beratungsstelle aufgesucht hätten. Die BISS führen keine länger andauernde Beratung oder Therapie durch. Vielmehr zählen zu ihren Aufgaben die psychosoziale Krisenintervention, die Sicherheitsplanung für die Opfer und die Weitervermittlung an andere Institutionen. Außerdem informieren sie über die rechtlichen Möglichkeiten, die das Gewaltschutzgesetz (GewSchG) bietet und unterstützen die Opfer ggf. bei der Antragstellung. Die BISS sind somit Teil einer Interventionskette Polizei – BISS – Gericht.
Das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen hat von Mai 2002 bis Dezember 2004 eine vom Niedersächsischen Ministerium für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit geförderte Evaluationsstudie der BISS durchgeführt. Die Evaluationsstudie bediente sich dabei eines multi-methodalen Designs auf verschiedenen Stufen des Interventionsprozesses: In die Datenerhebung wurden die Berufsgruppen Polizei, BISS und Justiz sowie die von Gewalt Betroffenen einbezogen. Auf den drei Ebenen Polizei, BISS und Justiz erfolgte dabei zum einen eine möglichst umfassende Dokumentation einschlägiger Fälle. Dafür wurden in Zusammenarbeit mit den jeweiligen Institutionen entsprechende Datenbanken entwickelt und implementiert. Zum anderen wurden die drei Berufsgruppen sowie die Geschädigten mit standardisierten Fragebögen befragt. Ergänzt wurden diese schriftlichen Erhebungen durch qualitative Interviews mit VertreterInnen der genannten Berufsgruppen und mit Beratenen. Aus der Kombination dieser Ansätze ergaben sich insgesamt zehn Erhebungsteile der Studie.
Als Fazit der Studie lässt sich festhalten, dass sich die BISS und ihre pro-aktive Arbeit als sinnvoll und notwendig erwiesen haben. Der pro-aktive Zugang auf Frauen, die Opfer von Gewalt geworden sind, ist erfolgreich implementiert und umgesetzt worden. Wesentlich ist, dass durch die pro-aktive Beratungsform auch Opfer häuslicher Gewalt erreicht werden, die noch nie zuvor psychosoziale Beratung erhalten haben. Zusätzlich werden jedoch auch Frauen beraten, die durch die Öffentlichkeitsarbeit der BISS auf diese aufmerksam geworden sind. Insgesamt erreichen die BISS somit die unterschiedlichsten Frauen.
Die BISS bieten den Opfern eine kurze Beratung an, eruieren die Bedürfnisse der Frauen und weisen sie spezifisch weiteren Interventionsstationen zu. Diese Information über die Vielfalt weiterer Verhaltensmöglichkeiten einschließlich des rechtlichen Weges erweitert den Handlungsspielraum der Frauen und reduziert dadurch ihr Gefühl der Hilflosigkeit und des Ausgeliefertseins an die Situation ungemein.
In Zukunft sollte die Vernetzung der BISS an einigen Stellen noch weiter ausgebaut werden (z.B. eine noch engere Kooperation mit dem Kinderschutz und dem medizinischen Bereich). In der Beratung ergeben sich des Weiteren Fragestellungen, die die BISS vor besondere Herausforderungen stellen (z.B. Migrantinnen, Stalkingfälle oder Fälle mit besonders gefährlichen Tätern) und für die eine weitere Qualifizierung hilfreich ist.