Forschungseinheit I – Ätiologie der Devianz

Leiter der Forschungseinheit:
Dr. Jan-Philip Steinmann und Prof. Dr. Thomas Bliesener

 

Die Forschungseinheit Ätiologie der Devianz erforscht von sozialen Normen abweichendes Verhalten (Devianz), wobei Verstöße gegen institutionalisierte Rechtsnomen (Kriminalität) im Mittelpunkt des wissenschaftlichen Interesses stehen. Der Untersuchungsfokus liegt dabei auf der Gruppe der Täter*innen und den facettenreichen Ursachen, die deviantes und kriminelles Verhalten hervorbringen. Auf Basis theoriegestützter empirischer Forschung werden mikroskopische und makroskopische Perspektiven miteinander kombiniert, sodass sowohl individuelle als auch soziale Ursachen für Abweichung und Kriminalität in den Blick genommen werden. Auch wenn die beschriebene ätiologische Perspektive den Kern der Forschungseinheit ausmacht, wird eine konstruktivistische Perspektive nicht außer Acht gelassen.

 

 

 

Forschungsschwerpunkte

Die thematischen Schwerpunkte der Forschungseinheit liegen auf der Erforschung von Kriminalität aus einer lebensverlaufstheoretischen Perspektive (Forschungsschwerpunkt 1: Kriminalität im Lebensverlauf), der Untersuchung von deviantem Verhalten vor dem Hintergrund sozialer Wandlungsprozesse (Forschungsschwerpunkt 2: Sozialer Wandel und Devianz) sowie der Analyse von Reaktionen auf Normverstöße (Forschungsschwerpunkt 3: Umgang mit Normabweichungen).

Die verschiedenen Forschungsschwerpunkte werden jeweils aus interdisziplinären Perspektiven (z.B. Psychologie, Soziologie, Politikwissenschaft) mittels einer Vielfalt empirischer Methoden adressiert. Zum Einsatz kommen insbesondere quantitative (quer- und längsschnittliche Surveys und Experimente), aber auch qualitative Ansätze sowie deren Kombination.

 

Kriminalität im Lebensverlauf

Der erste Forschungsschwerpunkt zielt darauf ab, Kriminalität in verschiedenen Lebensphasen (von Kindheit, über Jugend, bis ins Erwachsenenalter) zu untersuchen. Da delinquentes Verhalten gehäuft im Jugend- und Heranwachsendenalter beobachtetet wird, liegt ein besonderer Fokus auf diesem Lebensabschnitt. Neben der Beschreibung der (gruppenspezifischen) Entwicklung von Kriminalität über den Lebensverlauf (z.B. im Hinblick auf Beginn, Höhepunkt, Abbruch und Kontinuität) stehen insbesondere Entstehungsbedingungen für Kriminalität im Mittelpunkt. Den komplexen Entstehungs- und Veränderungsprozessen von Kriminalität wird dadurch Rechnung getragen, dass Ebenen übergreifende Erklärungen angestrebt werden, die Individual-, Gruppen- und Gesellschaftsebene miteinander kombinieren. Auch wenn das Hauptaugenmerk des Forschungsschwerpunkts auf Ursachen von Kriminalitätsentwicklung liegt, werden auch Folgen von dieser für verschiedene Lebensbereiche (z.B. Schule und Arbeitsmarkt) untersucht.

Sozialer Wandel und Devianz

Im zweiten Forschungsschwerpunkt wird Devianz vor dem Hintergrund sozialer Wandlungsprozesse in den Blick genommen. Ausgehend von der Annahme, dass eine (rasche) gesellschaftliche Veränderung zu anomischen Zuständen führen kann, die althergebrachte Ordnungsprinzipien infrage stellen, wird untersucht, ob eine gestörte soziale Ordnung Folgen für individuelles abweichendes Verhalten haben kann. Die sozialen Wandlungsprozesse, die den Forschungsschwerpunkt anleiten, sind vielfältiger Natur und können je nach aktuellen gesellschaftlichen Ereignissen (z.B. wirtschaftlicher Auf- oder Abschwung, kriegerische Auseinandersetzungen, Pandemie, Einwanderungsgeschehen) angepasst werden. Bei diesen Veränderungen kann es sich sowohl um Prozesse handeln, die sich aktuell vollziehen, als auch solche, die zeitlich in der Vergangenheit liegen, jedoch das Potential haben, gegenwärtiges (deviantes) Verhalten weiterhin zu beeinflussen.

Umgang mit Normabweichungen

Der dritte Forschungsschwerpunkt ergänzt die ersten beiden um eine konstruktivistische Komponente. Abweichung und Kriminalität werden hier vor allem als Produkte der Gesellschaft verstanden, deshalb liegt das Augenmerk auf der Wahrnehmung von Devianz und Kriminalität. Im Fokus stehen insbesondere individuelle (nicht institutionelle) Reaktionen auf Normverstöße sowie mit ihnen verbundene Kriminalisierungs- und soziale Ausschließungsprozesse.

 

Aktuell laufende Forschungsprojekte

Die drei Forschungsschwerpunkte sind zueinander komplementär und dennoch nicht gänzlich überschneidungsfrei. Sie bilden eine thematische Rahmung für die Forschungseinheit Ätiologie der Devianz. Forschungsprojekte können innerhalb eines Schwerpunkts oder auch an den Schnittstellen verschiedener Schwerpunkte verortet sein.