“Non-Punishment-Prinzip” (NPP): Rechtsgrundlagen und Anwendung in Deutschland

 

Projektzeitraum

01.12.2023 – 31.03.2024

Projektmitarbeitende

Prof. Dr. Tillmann Bartsch (Projektleiter)

Marco Kubicki

Nora Labarta Greven

Kooperationspartner

Prof. Dr. Joachim Renzikowski, Lehrstuhl für Strafrecht, Rechtsphilosophie/Rechtstheorie an der Martin-Luther-Universität Halle Wittenberg

Auftraggeber und Finanzierung

Arbeit und Leben Berlin-Brandenburg DGB/VHS e.V.

Projektbeschreibung

Menschenhandel verstößt gegen grundlegende verfassungsrechtliche (Art. 1 Abs. 1 GG) und europäische Vorgaben (EMRK, GRC), weshalb der deutsche Staat – auch vor dem Hintergrund seit Jahren zunehmender Fluchtbewegungen – zu effektiven Maßnahmen gegen den Handel mit Menschen und dem Schutz der hiervon Betroffenen verpflichtet ist.

Als Konsequenz daraus werden Opfern von Menschenhandel spezielle Rechte eingeräumt. Eines dieser Rechte besteht in dem auf Art. 8 der EU-Richtlinie 2011/35 fußenden Non-Punishment-Prinzip (NPP). Es verpflichtet die Mitgliedsstaaten dazu, den zuständigen nationalen Behörden die Befugnis einzuräumen, unter bestimmten Voraussetzungen auf die Strafverfolgung der Opfer von Menschenhandel zu verzichten, sofern sie sich aufgrund von zu ihrem Nachteil begangenen Menschenhandelsdelikten zur Begehung von Straftaten gezwungen sahen.

Bisher liegen nur sehr wenige Erkenntnisse über die Anwendung des NPP in Deutschland vor. Die bisherigen Beobachtungen und Einschätzungen legen jedoch nahe, dass Personen in relevantem Umfang – entgegen dem NPP – wegen Delikten wie illegaler Einreise, illegalem Aufenthalt oder illegaler Beschäftigung strafrechtlich verfolgt werden, obschon deutliche Hinweise dafür vorliegen, dass es sich um Opfer eines Menschenhandels handeln könnte. Dies könnte nicht nur gegen internationale Vorgaben verstoßen, sondern auch die Verfolgung des Menschenhandels insgesamt erheblich erschweren, weil Opfer möglicherweise aus Angst vor der eigenen Strafverfolgung von wichtigen Aussagen und Anzeigenerstattungen absehen.

Vor diesem Hintergrund zielt das Projekt darauf ab, zu prüfen, ob die zur Umsetzung getroffenen gesetzgeberischen Maßnahmen ausreichend sind, wie die Strafverfolgungspraxis das NPP handhabt und ob Reformbedarf besteht. Hierfür sollen ein Überblick über die relevanten Rechtsnormen zur Umsetzung des NPP erstellt, ein Vergleich der internationalen Vorgaben vorgenommen und Auslegungshilfen für die Anwendung in Deutschland erarbeitet werden. Im Hinblick auf die Umsetzung des NPP in der Praxis sollen Beispiele für die Anwendung oder Nicht-Anwendung des NPP gesammelt und der aktuelle Umgang mit dem NPP herausgearbeitet werden.

Das Projekt besteht mithin aus einer eingehenden rechtsdogmatischen Analyse, für die in erster Linie Joachim Renzikowski von der Uni Halle-Wittenberg verantwortlich zeichnet, und einem vom KFN durchgeführten rechtstatsächlichen Teil. In empirischer Hinsicht sollen zur Ermittlung etwaiger Praxisprobleme Expert*inneninterviews mit Vertreter*innen der Staatsanwaltschaft, Polizei und der Finanzkontrolle Schwarzarbeit durchgeführt werden. Um die Perspektive der Opfer zu berücksichtigen, sind darüber hinaus Interviews mit Nebenklagevertreter*innen vorgesehen. Ergänzend sollen für die Beurteilung der Anwendungspraxis und Benennung von Praxisbeispielen die Daten der Aktenanalyse eines früheren KFN-Projekts zur „Evaluierung der Strafvorschriften zur Bekämpfung des Menschenhandels“ herangezogen werden. Basierend auf den dogmatischen und empirischen Befunden sollen schließlich rechtliche und anwendungsbezogene Probleme identifiziert und ggf. Reformvorschläge unterbreitet werden.